Schlachtfeld entdeckt: Hier metzelten Römer die Germanen nieder - WELT (2024)

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Vermutlich kamen sie aus dem Nordosten. Die römischen Abteilungen, zusammen vielleicht gut tausend Mann, zogen in fester Ordnung durch die Ausläufer des Südharzes, als sie von Horden germanischer Krieger angegriffen wurden. Binnen kürzester Zeit entwickelte sich über Kilometer hinweg ein Gemetzel, das an den Todesmarsch des Varus viele Generationen zuvor erinnerte. Doch die Bogenschützen der römischen Armee verstanden ihr Handwerk, schlugen die Angreifer durch einen Pfeilhagel zurück und gelangten sicher in die Provinz des Imperiums.

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So könnte sich die Geschichte zugetragen haben, die vor knapp 1800 Jahren im Höhenzug Harzhorn nahe Northeim im südlichen Niedersachsen spielte. Denn was Archäologen seit diesem Sommer im Ortsteil Wiershausen der Gemeinde Kalefeld entdeckten, sind die Spuren eines antiken Schlachtfeldes, wie sie in diesem Ausmaß und dieser Detailfülle – weltweit – gegenwärtig nur noch auf dem Varus-Schlachtfeld bei Kalkriese bei Osnabrück bestaunt werden können: eine Walstatt, auf der Tausende Römer und Barbaren kämpften und starben und die übersäht ist mit Waffenspuren aller Art.

Ein Ort, der wie wenige von der Realität des Krieges in vergangenen Zeiten zeugt. Ein Eldorado für die Forschung. Das Wort vom „Jahrhundertfund mit europäischer Bedeutung“, wie es jetzt bei der Präsentation vor Ort fiel, scheint durchaus angebracht.

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Der Fund von Kalefeld hat das Zeug, um als großes neues Kapitel in die Annalen der Archäologie einzugehen. Schon die Umstände seiner Entdeckung sind abenteuerlich. Vor mehreren Jahren, heißt es, habe ein Bürger im Wald einen antiken Gegenstand gefunden. Im Sommer zeigte er ihn der Kreisarchäologin, die ein Stück aus der Römerzeit erkannte – und sofort Grabungen einleitete.

Denn wenn die Datierung ins 3. Jahrhundert n. Chr. stimmte, wies er auf einen Vorgang, von dem keine schriftlichen Quellen berichten: eine römische Armee zog, rund 500 Kilometer von ihren Basen an Rhein und Limes entfernt, durch das freie Germanien, in dem sich zu jener Zeit Umwälzungen von weltgeschichtlichen Dimensionen zutrugen.

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Um die Fundstelle vor Hobby- und Raubgräbern zu sichern, arbeiteten die Archäologen unter strengster Geheimhaltung. Flugzeuge mit Spezialkameras nahmen das Gelände auf, mit modernstem Gerät wurde es prospektiert, 600.000 Euro wurden dafür bislang aufgewendet.

Ungefähr 1,5 Kilometer lang und bis zu 500 Meter breit ist das Gebiet, auf dem sich bislang bereits mehr als 600 Stücke fanden: Pfeilspitzen und Katapultbolzen, Sandalennägel, Trümmer römischer Trossausrüstung wie Pferde- und Wagengeschirr sowie eine römische Pionieraxt. Dabei haben die eigentlichen Grabungen noch gar nicht begonnen.

Vor allem die dreiflügeligen Pfeilspitzen, sagt Günther Moosbauer, provinzialrömischer Archäologie an der Universität Osnabrück und verantwortlich auch für die Grabungen in Kalkriese, seien ein deutlicher Hinweis darauf, dass hier Auxiliar-Einheiten – Hilfstruppen – aus dem Orient im Kampf standen. Zwar hat man einzelne dieser charakteristischen Waffen auch in Zerstörungshorizonten von Limeskastellen gefunden, die von der Anwesenheit einzelner Kämpfer zeugen.

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Doch die bei Kalefeld gefundene Größenordnung weist auf ganze Kohorten hin, deren Einsatz so weit von der römischen Reichsgrenze entfernt auf die Anwesenheit eines größeren Heeresverbandes schließen lässt. Diese Deutung unterstützen auch die gefundenen Geschosse von Torsionsgeschützen – Artilleriewaffen, die ihre Kraft aus der Verdrehung von Seilbündeln bezogen.

Zur Datierung der Fundstücke passt eine bei Kalefeld gefundene Münze aus der Zeit des Kaisers Commodus (reg. 180-192), des Sohns und Nachfolgers von Marc Aurel, der seit 166 gegen die Markomannen an der Donau zu Felde zog. Bis zu einem Drittel der römischen Kriegsmacht soll in diesen Kämpfen – in denen Ridley Scotts Film „Gladiator“ beginnt – aufgerieben worden sein.

Veränderte Lebensbedingungen im 2. Jahrhundert

Auch wenn der Feldzug, von dem die Funde bei Kalefeld berichten, wohl etwas später anzusetzen ist, fügt er sich in ein ähnliches Szenario ein. Von den Römern kaum bemerkt, begann sich Germanien im 2. Jahrhundert n. Chr. dramatisch zu verändern. Lebten bis dahin überschaubare Stämme und Clans in dem unwegsamen und kargen Raum, erschütterte mehr und mehr „eine große Welle von Vertriebenen, von gesellschaftlich Ausgegrenzten oder Unzufriedenen, von Gruppen auf der Suche nach neuen Siedlungsgebieten zur Verbesserung oder überhaupt erst Sicherung der eigenen Existenz“ das Land, wie es der Tübinger Althistoriker Reinhard Wolters beschreibt.

Unter diesem Druck entstanden die Großstämme der Franken, Sachsen, Langobarden oder Alamannen, deren militärische Schlagkraft deutlich größer war als etwa die der Cherusker zu Augustus’ Zeiten und die sich darüber hinaus durch außerordentliche Mobilität auszeichneten.

So könnte es ein Einfall der Alamannen zwischen Wetterau und Oberrhein gewesen sein, der Kaiser Alexander Severus (reg. 222-235) mit einem großen Reichsaufgebot in die große Provinzialbastion Mogontiacum (Mainz) rief. Dort wurde der Kaiser zwar ermordet. Aber sein Nachfolger Maximinus Thrax, ein erfahrener Feldherr, unternahm mit dem Heer einen Rachefeldzug.

Der Archäologe Günther Moosbauer verweist auf Stellen im Geschichtswerk des Herodian (ca. 180-250) und in der „Historia Augusta“ aus dem 4. Jahrhundert. Darin heißt es, Maximinus Thrax hätte viele Bogenschützen mitgenommen, auf deren Schlagkraft er in den Wäldern Germaniens vertraute.

Verschiedene überlieferte Versionen

Bislang ist man bei der Rekonstruktion dieses Feldzuges allerdings jener Version der „Historia Augusta“ gefolgt, die von einem Operationsgebiet 50 bis 60 Kilometer vor den römischen Linien berichtet. Eine andere Text-Überlieferung nennt dagegen 500 bis 600 Meilen. Das Schlachtfeld von Kalefeld könnte dies bestätigen, was wiederum den „rhetorisierenden Belletristen“ Herodian und die klatschgesättigte Anekdotensammlung der „Historia Augusta“ aufwerten würde.

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Denn das ist der Kern jener ersten Meldungen vom Kalefelder Fund, in denen nicht nur von einer archäologischen, sondern auch historischen Sensation die Rede ist. Erstmals wäre der Beweis erbracht, dass sich römische Heere noch im 3. Jahrhundert tief in Germanien engagierten. Es fehlt nicht an Quellen und kaiserlichen Anmaßungen, die das behaupten. Offensichtlich enthalten sie ein Stückchen mehr Wahrheit, als man bislang angenommen hat.

Maximinus Thrax (reg. 235-238) wäre ein solcher Feldzug durchaus zuzutrauen. Vom einfachen Legionär zum Ritter und General aufgestiegen, war er der erste der sogenannten Soldatenkaiser, deren häufiger Wechsel das Imperium im 3. Jahrhundert fast an den Rand des Untergangs geführt hätte.

Initiative ging von Barbaren aus

Doch so furchtlos manche dieser Haudegen auch gegen die Barbaren zogen, waren es doch stets aus der Not geborene Reaktionen. Die Initiative hatte Rom gegen das Weltreich der neupersischen Sassaniden und gegenüber den riesigen Räumen Europas längst verloren.

Würde es sich also erhärten, dass bei Kalefeld Truppen des Maximinus Thrax kämpften, wären sie wohl auf dem Rückmarsch aus dem Gebiet der Alamannen gewesen, als sie angegriffen wurden – und siegten. Denn das ist der erstaunliche Unterschied zum Schlachtfeld von Kalkriese.

Während dort das Gelände nicht nur mit Resten von Legionärswaffen übersäht ist, sondern auch und vor allem Reste römischer Panzer und persönlicher Ausrüstungsgegenstände ans Licht kommen, finden sich in Kalefeld nur Waffen, vor allem römische Pfeilspitzen.

Das aber müsste bedeuten, sagt Moosbauer, dass eine Plünderung der gefallenen Römer – anders als bei Kalkriese – unterblieb. Gerade die Leichenfledderei und der Fund unbestatteter Knochen sind neben den Münzen die wichtigsten Argumente der Forscher, die bei Kalkriese den Endkampf von Varus’ Legionen sehen.

Selbst wenn, wie einzelne Stimmen mittlerweile vermuten, die gefallenen Römer eher den Feldzügen des kaiserlichen Prinzen Germanicus 14-16 n. Chr. zugeordnet werden müssten, ist es aus römischer Perspektive ein Ort der Niederlage.

Keine Spuren von Germanen

Spuren der Germanen haben sich dagegen in Kalkriese nicht erhalten. Zu leicht und flüchtig war ihre Ausrüstung dafür. Ob manche Fundstücke, wie jetzt in Kalefeld gezeigt, wirklich barbarische Eigentümer hatten, werden weitere Untersuchungen zeigen.

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Susanne Wilbers-Rost, die die Archäologie-Abteilung von Museum und Park Kalkriese leitet, spricht denn auch nicht von Konkurrenz zwischen den beiden Fundstellen, sondern von den Möglichkeiten, die der Vergleich bietet. Die Methoden, die seit 20 Jahren in Kalkriese erprobt werden, könnten nun auch in Kalefeld zum Einsatz kommen.

Just vor den groß angelegten 2000-Jahr-Feiern der Varus-Schlacht im legendären Teutoburger Wald hat Deutschland seinen Ruf als Zentrum der Schlachtfeldarchäologie eindrucksvoll bestätigt. Allerdings wird es noch Jahre brauchen, bis aus dem Vergleich zwischen Kalkriese und Kalefeld belastbare Ergebnisse formuliert werden können.

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Author: Neely Ledner

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